Ach, Apple… ach, Aperture…





Apple hat sich mal wieder von seiner nettesten und sympathischsten Seite gezeigt und meinen Testbericht zu Aperture 3.2 kommentarlos aus dem Mac App Store getilgt.

Normalerweise ist dies hier ja ein Photoblog, und ich möchte es nicht mit Produkttests und -besprechungen verunstalten… aber weil ich Zensur nicht ausstehen kann, und weil mein Review vor der Löschung durch Apple immerhin von 238 aus 253 Lesern als hilfreich eingestuft wurde, mache ich hiermit mal eine Ausnahme und poste den ungekürzten Text (nicht der für den AppStore gekürzte – den habe ich leider nicht mehr), aufgehübscht mit ein paar Bildern aus der Heidelberger Zeit… und der freundlichen Bitte an alle Interessierten, ihn zahlreich weiter zu verlinken, vielleicht lernt Apple ja irgendwann mal was.


Viel Licht und noch wesentlich mehr Schatten

Eines muss vorneweg gesagt werden: Für gerade mal 63 Euro im Mac App Store ist Aperture sicherlich ein Schnäppchen – und die derzeit kostengünstigste kommerziell erhältiche Kombination aus RAW-Konverter und Digital Asset Management System für professionelle Ansprüche.

Und vieles macht Apple mit Aperture ganz genau richtig. Hervorzuheben sind insbesondere der Workflow und das Userinterface. Wo beispielsweise Adobes Lightroom mit kruder und unübersichtlicher Modalität aufwartet, besticht Aperture durch eine klare und flexible Benutzerführung: Alle Bildbearbeitungs- und Kategorisierungswerkzeuge stehen jederzeit zur Verfügung, es muss nicht erst, wie bei Lightroom, umständlich zwischen “Bibliothek”, “Entwickeln” oder gar “Diashow” umgeschaltet werden.

Auch die zahlreichen Methoden, mit denen Bilder kategorisiert und organisiert werden können, erlauben jede Menge Freiheiten und lassen sich ohne Probleme an die individuellsten Arbeitsmethoden anpassen.  Die Bearbeitungsmöglichkeiten sind vielfältig und umfassen sowohl das Standardprogramm (Belichtung, Wiederherstellung von dunklen Bereichen und Lichtern, Kontrast, Sättigung und Lebendigkeit) als auch spezialisierte Verfahren (Anpassung der Tonwertkurve getrennt auf RGB- Kanäle, mit und ohne Gammakorrektur).

Zieht man noch den eingebauten Fotobucheditor in Betracht (eher ein ausgewachsenes Layout-Tool), sowie die Tatsache, dass “Faces” und “Places” sehr nette Ergänzungen sind, wenn es darum geht, den Überblick über eine Fotobibliothek zu behalten, dann könnte man eigentlich zu dem Schluss kommen, dass es sich um ein rundum gelungenes Paket handelt.

Tja, könnte.

Kann man aber leider nicht. Aperture ist ein Programm, das man lieben möchte… aber Apple macht dies so gut wie unmöglich. Denn in Anbetracht all der Dinge, die in Aperture gut bis sehr gut gelöst sind, fallen die zahlreichen Mängel um so stärker ins Gewicht, zumal ihre Ursachen beinahe ausschließlich in der unvergleichlichen Arroganz des Herstellers zu finden sind:

  • Aperture bietet für zahlreiche Kameras keinen RAW-Support, unter anderem für alle Kameras von Ricoh und Sigma. So gut wie jeder andere RAW-Konverter, egal ob exotische Lösung oder alteingesessenes Produkt, unterstützt diese Kameras seit Jahren. Bei Apple hingegen werden diesbezügliche Kundenwünsche und -petitionen seit Jahren kommentarlos ignoriert. Und auch bei “großen” Kameramarken sieht es teilweise sehr übel aus: Nikon- und Sony-Besitzer dürfen schon mal ein halbes Jahr warten, bis ihre neue Kamera unterstützt wird; der Support für die Dimage A200 kam 5 Jahre zu spät, Panasonic/Leica Digilux1? Keine Chance… für ein Produkt, das sich “Professionalität” auf die Fahnen schreibt, ist dies vollkommen inakzeptabel.
     
  • Obwohl Aperture angeblich DNG-kompatibel ist (ein von Adobe spezifiziertes, universelles RAW-Format), kann es Dateien, die aus einer MicroFourThirds-Kamera (Olympus, Panasonic) kommen und mit dem Adobe DNG-Konverter (oder mit Lightroom) konvertiert wurden, u.U. nicht mehr lesen und zeigt hier nur noch ein Ausrufezeichen an. In einem inzwischen online gestellten Support-Dokument schiebt Apple den schwarzen Peter Adobe in die Schuhe und behauptet, diese Dateien seien ein lineares Format und deshalb nicht lesbar. Das Problem ist: Das ist nicht wahr (und selbst wenn es wahr wäre, wäre es dem Endanwender sicherlich egal). Die Wahrheit ist, dass Aperture schlicht und einfach die DNG-Spezifikation in Version 1.4 nicht unterstützt (das heisst, Objektivkorrektur-Daten innerhalb von DNGs), und das jetzt seit drei Jahren. Oder, wie der selige Steve Jobs mal über Adobe behauptete: Die sind faul.
     
  • Der Apple Support ist ein Witz. Und zwar ein sehr schlechter. Nur ein Beispiel: Mit Aperture 3.1.2 und einem Update auf OS X “Lion” begab es sich vor einigen Monaten plötzlich, dass Aperture referenzierte Bilder auf Netzwerkfestplatten nicht mehr finden konnte. Oder, anders ausgedrückt, Aperture war für einen insbesondere in einem professionellen Workflow weit verbreiteten Anwendungsfall vom einen auf den anderen Tag vollständig unbrauchbar geworden.
    Die Reaktion von Apple war, wie immer in diesen Fällen: Keine. Der entsprechende Thread im offiziellen Support-Forum füllte sich schnell mit weit über 100 Einträgen, doch von Apple war, wie immer, nichts zu hören. Stattdessen gab es die übliche Kombination aus Gruppentherapie (“wir sind alle aufgeschmissen und niemand hilft uns, aber schön, dass wir mal darüber geredet haben“), gefährlichem Halbwissen (“der Bruder des Freundes der besten Freundin von meiner Nichte kennt jemand, der bei Apple arbeitet, und der hat gesagt, am Freitag kommt ein Update“) und hirnlosem Apple-Apolegetentum (“Das ist gar kein Fehler, denn Apple hat nie irgendwo geschrieben, dass Bilder auf Netzwerkfestplatten überhaupt unterstützt werden. Ihr seid also alle selbst schuld!“)… nicht im geringsten hilfreich.
    Das Ende vom Lied? Nach vier Monaten solider Nicht-Kommunikation wurde der Bug von Apple mit dem Update auf Lion 10.7.2 und Aperture 3.2 stillschweigend beseitigt. Er wurde nie anerkannt, es wurde nie irgendwas kommuniziert… denkt Apple denn wirklich, man kann mit Kunden so umgehen, insbesondere wenn man ihnen eine vermeintlich professionelle Lösung verkauft? Sorry, Apple, setzen, sechs.
     
  • Der Speicherverbrauch. Ach Du liebe Güte, der Speicherverbrauch!!! Ja, Aperture ist resourcenhungrig. Aber wenn ein Programm zum Exportieren eines Bildes plötzlich 6GB virtuellen und 3.9GB physikalischen Speicher belegt und den Rechner infolgedessen für über fünf Minuten zum Stottern und Hängen bringt, dann ist das betrachtete Programm nicht resourcenhungrig, es ist schlicht und einfach kaputt. Und auch ansonsten ist Aperture nicht zimperlich: Mit weniger als 8GB RAM sollte man eine Installation gar nicht erst in Betracht ziehen, und mit 16GB und Highend-Grafikkarte läuft es dann allmählich so flott wie Lightroom mit einem Viertel dieser Resourcen. Das kann und darf nicht sein.
     
  • Die Schärfe- und Rauschunterdrückungswerkzeuge kommen direkt aus dem Paläozoikum der elektronischen Bildverarbeitung. Das Schärfewerkzeug sorgt einfach nur dafür, dass das Bild pixelig wird und einen Wasserfarben-Look bekommt, und die Rauschunterdrückung macht das Bild unscharf. So gut wie jeder moderne RAW-Konverter überholt Aperture hier auf der Standspur.
     
  • Und wo wir es schon von prähistorischen Werkzeugen haben: Es ist nicht möglich, mit Aperture eine vernünftige Teiltonung hinzukriegen. Dazu ist das Einfärben-Werkzeug viel zu beschränkt… hier muss dringend eine moderne Lösung her.
     

Das klingt alles furchtbar negativ, und leider muss man an dieser Stelle sagen: Aperture könnte eine wunderbare Anwendung sein, aber leider ist sie aufgrund einer vollständig verfehlten Produktentwicklungs- und Kommunikationspolitik seitens Apple nur unteres Mittelmaß.

Die Schwächen in Punkto Speicherverbrauch, RAW-Support und DNG-Kompatibilität sind seit Jahren bekannt. Doch statt endlich etwas daran zu ändern, wird ein sinnloses Consumer-Feature nach dem anderen an Aperture geflanscht (PhotoStream, Facebook, wtf…?!!)

Fazit: Wer

  • eine unterstützte Mainstream-Kamera verwendet,
  • nicht im hohen ISO-Bereich arbeitet (und deshalb eine vernünftige Rauschunterdrückung gebrauchen könnte),
  • keine DNG-Kompatibilität benötigt
  • ein halbes Jahr bis eine Ewigkeit auf RAW-Support für eine neue Kamera warten kann,
  • über 8GB oder mehr Arbeitsspeicher und eine SSD-Festplatte verfügt
  • damit leben kann, im Falle eines Falles keinerlei vernünftige Hilfestellung von Apple zu bekommen, und
  • (Update) damit leben kann, eine Firma zu unterstützen, die mißliebige Reviews einfach mal so aus ihrem Online Store tilgt

der sollte bei diesem Preis unbedingt zugreifen.

Für alle anderen gilt: Hände weg.

 

4 thoughts on “Ach, Apple… ach, Aperture…”

  1. Danke für diesen Artikel, Du sprichst mir aus der Seele. Ich halte Aperture für das professionellere Programm, musste aber zurück auf Lightroom wechseln, da ein vernünftiges flüssiges Arbeiten nicht mehr möglich war. Ich weiss, dass mit Vers. 3.2 einige Probleme beseitigt wurden, werde aber bei Lightroom bleiben. Man kann ja nicht ständig zwischen den Apps hin- und herwandern.
    Und so werde ich mich in Zukunft täglich über unlogische Programmeinstellungen ärgern und mich an akzeptabler Verarbeitungsgeschwindigkeit erfreuen und hoffen, dass Adobe die nächste Version grundlegend überarbeitet.

    1. Bei Adobe ist dies auf jeden Fall eher anzunehmen als bei Apple… wenn die das Geld, das sie in das Zensieren des App Stores stecken, in Softwareentwicklung stecken würden, dann sähe das vielleicht anders aus ;-)

  2. Hallo. In Teilen muss ich Dir (leider) Recht geben. Was ich nicht ganz nachvollziehen kann ist der Ressourcenverbrauch, da ich Aperture auf einem etwas älteren iMac mit C2D Prozessor 2G8 und “nur” 4GB RAM installiert habe. Ich habe mich vor Jahren (lange vor dem App-Store) nach längerem Vergleich mit Lightroom für Aperture entschieden, weil mir Oberfläche und Bedienkonzept wesentlich besser gefielen und auch heute noch gefallen. Das mit der Unterstützung der neuesten Kameras ist wirklich ziemlich ärgerlich, auch wenn es meine alte EOS 7D nicht betrifft. Apple sollte hier wirklich öfter Aktualisierungen verteilen. Allgemein bin ich der Meinung, dass sich Apple immer mehr Richtung Consumer Markt bewegt und weg vom Hersteller für professionelle Hard- und Software. Dafür spricht nicht nur die lahme Weiterentwicklung bei Aperture, sondern auch die letzte Version von “Final Cut Pro”. Weitere Indizien sind die Abkündigung der Xserve Reihe und die “Degradierung” des OS X Server Betriebssystems zum App. Uns so geht es leider weiter mit den Produkten aus iLife und iWorks, professionelle Funktionen zählen nicht mehr, Hauptsache es ist schön bunt und läuft auch auf iOS. Ich finde es wirklich schade, dass Apple nicht in der Lage ist (HW + SW) Produkte sowohl für den Massenmarkt, als auch für professionelle Anwender parallel nebeneinander her zu entwickeln und auch zu pflegen.

    1. Ja, das ist eine Tendenz, die ich auch beobachte. Apple braucht den professionellen Markt nicht mehr, und vor allem brauchen sie ihre Kunden nicht anständig behandeln, weil diese ihnen eh alles verzeihen.

      Die Performance ist bei unterschiedlichen Anwendern stark unterschiedlich; sie scheint mir auch mit dem Ausgangsmaterial (also welche RAW-Files von welcher Kamera) zusammenzuhängen und hätte auf jeden Fall mal eine gründliche QA nötig, die sie offensichtlich nie bekommen hat…

      Liebe Grüße
      Stephan

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