Musik und Fotografie





Langjährige Leser dieses Blogs wissen bereits, dass ich mich, was meine künstlerische Ader angeht, in erster Linie als Musiker sehe. Das ist das, was ich wirklich sein möchte, und ich bin es auch nach über zwanzig Jahren noch immer mit ungebrochener Begeisterung.

Daneben gibt es in meinem Leben – wie sich anhand dieses Blogs vermutlich erahnen lässt – natürlich auch noch die Fotografie. Und gerade in letzter Zeit fällt mir immer mehr auf, dass es zwischen diesen beiden Disziplinen ganz enorm viele Überschneidungen gibt. Die ich hier in lockerer Folge behandeln werde, vorausgesetzt, das Interesse ist vorhanden (ansonsten verbringe ich meine Zeit auch gerne mit Fotografieren ;-))

1. Die “Equipment-ist-alles”-Fraktion

In meinen langjährigen und unterschiedlichsten Erfahrungen in der Musikproduktion habe ich zwei Sorten von Menschen kennengelernt, denen es tatsächlich vollkommen schnurzpiepegal ist, ob ein Song zuhause im Heimstudio oder in einem hoch-schicken Studiokomplex an der Original-Konsole aus den Hansa-Studios in Berlin aufgenommen wurde:

  • Diejenigen, die selbst keine Musiker sind und sich null mit Musikproduktion auskennen, und
  • diejenigen, die sich so wahnsinnig gut damit auskennen, dass sie es nicht nötig haben, sich selbst oder irgendjemandem anders etwas zu beweisen.

In meinem Musikprojekt haben wir seit über einem Jahr ein wunderschönes Duett halb fertig und kriegen es nicht zu Ende aufgenommen. Und zwar weil der Sänger fehlt (und weil ich es fertig arrangieren müsste, wozu ich, wie wir gleich sehen werden, nicht sonderlich viel Lust habe).

Natürlich würde ich das Stück verdammt gerne selbst singen, aber ich muss nun mal einsehen, dass meine Stimme wohl nicht allen und nicht zu allem passt. Also wurde entschieden, dass ein “passenderer” Sänger gesucht werden muss.

Das gestaltet sich jedoch schwierig, weil, nun ja, es bei uns in der Band die Meinung gibt, man dürfe das erst machen, wenn wir wieder in einem “richtigen” Studio sind, das ein bisschen was her macht, so mit professionellem Equipment und so. Damit die potentiellen Interessenten nicht sofort absagen, weil sie von unseren (zeitweise äußerst improvisierten) Produktionsmethoden angewidert sind.

Unglücklicherweise ist an dieser Ansicht was dran, denn Menschen, die so reagieren, gibt es tatsächlich viele, vor allem im semiprofessionellen Möchtegern-Bereich.

Und genau diese Menschen (ich sagte es bereits einige Male in der Band, deshalb kann ich’s auch hier sagen) können mir gerne mal so richtig fett den Buckel runterrutschen. Wer nicht bei uns mitmachen mag weil unser Equipment nicht beeindruckend genug ist, der hat es schlicht und einfach nicht verdient, bei uns mitzumachen.

Abendstimmung auf der K-Burg, aufgenommen mit €20,– Linse…

Neulich las ich einen Artikel von Giulio Sciorio mit der Überschrift “How to overcome fears using Micro 4/3rds cameras in a professional environment“, zu Deutsch: “Wie man seine Ängste überwindet, Micro 4/3s-Kameras in einer professionellen Umgebung einzusetzen“, und bei der Lektüre desselben fiel mir es schlagartig auf: Die beiden Dinge sind mehr als nur ein bisschen verwandt miteinander!

Sciorio gibt in seinem Artikel Argumentationshilfen für Menschen, die entweder vor ihren Auftraggebern oder vor sich selbst rechtfertigen müssen, nicht mit einer großen, ultrateuren und mega-angesagten Vollformat-Kamera von Canon/Nikon (was ungefähr das Gleiche ist) oder gar mit einer Leica zu arbeiten, sondern mit einer spiegellosen M43-Systemkamera.

Schon der allererste Punkt von Sciorios Liste, “What will my clients think?“, fasst die ganze Misere richtig gut zusammen: Was sollen die Kunden nur denken, wenn ich nicht mit ner Canon ankomme?

Sciorio hat einen super Tip parat:

Zeig’ Deinen Kunden einfach, was Du mit Deiner Kamera machst, statt dass Du ihnen die Kamera zeigst.

Denn erstaunlicherweise gibt es auch zwei verschiedene Gruppierungen von Menschen, denen es vollkommen schnurzpiepegal ist, ob das Foto mit einer Leica Monochrom gemacht wurde, mit einer analogen Lochkamera oder mit einer Micro-Four-Thirds:

  • Diejenigen, die von diesen Dingen eh keine Ahnung haben, sondern das Foto einfach nur betrachten und es nach seiner Wirkung auf sie beurteilen, und
  • diejenigen, die von diesen Dingen so verdammt viel Ahnung haben, dass sie es nicht nötig haben, sich selbst oder irgendjemandem anders etwas zu beweisen

Und genau darum sollte es auch gehen.

Um die Fotografie selbst nämlich. Ebenso, wie es in der Musik um die Musik selbst gehen sollte… und nicht darum, arme Menschen mit schönem Schein zu blenden.

Natürlich ist der Spruch “Nicht die Kamera, sondern der Fotograf macht das Bild” inzwischen eine Binsenweisheit, die an allen möglichen Ecken und Enden des WWW zu finden ist.

Nur – wenn dieser Satz an allen möglichen Stellen zu lesen ist, ja, wenn selbst Ken Rockwell (den manche nicht so wohlmeinende Menschen als “Chuck Norris der Fotografie” bezeichnen) darüber eine bemerkenswerte Abhandlung schreibt (die zwar stellenweise viel zu grob verallgemeinert, aber trotzdem in weiten Teilen ihre Berechtigung hat)… warum muss dann Giulio Sciorio so ein Argumentationspapier schreiben? Und warum wird ebendieses Argumentationspapier in zahlreichen Fotografie-Blogs mit großer Dankbarkeit beinahe schon als Erlösung gefeiert? Und warum gibt es in all den einschlägigen Diskussionsforen noch immer diese ganzen vollkommen albernen Analog-gegen-Digital-, Canon-gegen-Nikon-, Vollformat-gegen-wasweißichwas- und sonstigen Grabenkämpfe?

2009 stellte ein befreundeter Fotograf in Göttingen seine Werke im Rahmen einer Gemeinschaftsausstellung aus.

Anwesend war neben Bekannten und Freunden der Künstler auch das übliche Kunstpublikum im Alter von 60 bis 80 Jahren, das sich bei Häppchen und Champagner darüber unterhielt dass man sich “ja neulich ne Leica gekauft” hätte, und dass man das “ja sofort sieht an den Bildern“, ob sie mit der Leica fotografiert wurden oder nicht, und dass (vor einem Abzug eines Schwarzweiss-Digitalbildes stehend)  “das eindeutig analog” sei, denn “digital kriegt man sowas gar nicht hin“.

Nein, ich sauge mir das nicht aus den Fingern. Ich stand daneben und spuckte vor unterdrücktem Lachen beinahe meine Trauben und Käsestückchen wieder aus. Aber ganz davon abgesehen, dass das natürlich schreiend komisch ist – warum denken die Leute noch immer so?

Weil es bequem ist, und weil sie es gewohnt sind, so zu denken – und weil sie keinerlei Veranlassung sehen, etwas daran zu ändern. Insbesondere in diesem Alter nicht mehr. Wir Menschen tun nun mal gerne das, was bequem ist.

Aber es gibt auch Hoffnung:

2006, als ich in Heidelberg gerade mitten in der Fertigstellung von “Grounded” war, bekam ich per EMail eine Anfrage von einem Gitarristen, ob mal die Möglichkeit bestehe, mitzuwirken. Er hatte unsere Demos auf garageband und myspace gehört und war begeistert, und dann fiel ihm auf, dass ich ja ganz in der Nähe wohnte. Klar, antwortete ich, und lud ihn ein.

Als mir dann klar wurde, wer der Typ war, da bekam ich das kalte Grausen.

Denn es handelte sich um einen Ex-Studiomusiker, einen Vollprofi also, der schon mit absoluten Mega-Größen zusammengespielt hatten, bei deren bloßen Erwähnung Menschen wie ich ehrfürchtig auf die Knie fallen und zu sabbern beginnen (vollkommen ungerechtfertigterweise übrigens, aber das ist ein anderes Kapitel dieser Reihe ;-)).  Wie es der Zufall wollte war damals meine einzige Aufnahmemöglichkeit ein kleines, feuchtes Zimmerchen im Keller, in dem ich ein äußerst improvisiertes Studio aufgebaut hatte… Was mochte so einer nur darüber denken? Der würde mich sicherlich auslachen und gleich wieder kehrt machen. Man sieht, auch ich war gegen diesen Brainfuck nicht wirklich immun.

Was aber passierte, war das Folgende:

Es wurde kein Wort über das Equipment oder die Lokalität verloren. Stattdessen machten wir den ganzen Abend und die ganze Nacht hindurch einfach nur Musik und hatten eine irrsinnige Menge Spaß dabei. Ich glaube, es war ihm vollkommen egal, wie und wo aufgenommen wurde, wir hätten das genau so gut unter einer Brücke mit einem Tonbandgerät von anno ’82 machen können… nur das Ergebnis zählte, und noch mehr die Freude daran.

Geht doch!

(Fortsetzung folgt…)

(vielleicht, wenn Interesse besteht… ;-))

(Bild oben: Tübingen, 2002, mit absolut un-amtlicher 3-Megapixel-Kamera aufgenommen)

6 thoughts on “Musik und Fotografie”

  1. Und darüber hinaus kaufen sich viele Menschen teuerstes Equipment, kennen aber nach Jahren gerade mal 1/4 der Funktionen oder weniger -> auffällig bei Synthesizern, Autos, Handys… äh wahrscheinlich bei allen Konsumgütern mit viel Technik/Elektronik.
    Frei nach BadeSalz in der Instrumenten-Abteilung: “Wenn der Lambada net dabei gewesse wär, hät isch des Gerät nit gekauft!”

  2. interesse besteht natürlich! ich lese immer noch alles mit grösstem vergnügen und gebührendem respekt – auch wenn ich ruhiger geworden bin ;-)

    1. Ich muss zugeben, das Leben hier oben auf der K-Burg, mein neuer Job, und der Umstand, dass ich mich nicht mehr mit Leuten auseinander setzen muss, die so derart wenig von allem kapieren, dass es physische Schmerzen verursacht, haben mich auch wesentlich ruhiger werden lassen… ;-) Aber so ein bißchen Revoluzzergeist habe ich noch ;-)

  3. gnadenlos ehrlich!
    Letztens habe ich noch ein Foto gefunden, von einem Fotografen mit einem Affen auf der Schulter, der durch den Sucher geguckt hat. Dadrunter fand sich folgender Satz: “Jeder Affe mit einer SLR-Kamera hält sich für einen Fotografen” – damit will ich jetzt nicht sagen, dass jemand der keine hat nicht genausogut ein Fotograf sein könne, doch ich finde darin eine kleine Assoziation zu deinem Post. Denn es ist schon wieder von einem Fotografen die Rede, der eine SLR-Kamera besitzt und ich mag es auch nicht von anderen auf meine Sony Alpha 200 reduziert zu werden – wonach sich natürlich jeder sofort erkundigt, wenn jemand spitz bekommt, dass man mit der eigenen Ausrüstung angeben könne :D

    Weiter so!

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