Herr T., ebenso charismatischer wie auch erfolgreicher Unternehmer aus Köln, hatte den Ferienbungalow im Jahre 1977 an einem Flusslauf mitten im Nirgendwo zwischen Ließem und Bonn-Lannesdorf erbauen lassen.
Eigentlich war es von den Vorschriften her damals gar nicht möglich gewesen, hier ein solides Häuschen hinzustellen, aber bei einem solch erfolgreichen und wohlhabenden Bauherrn drückten die Behörden auch schon mal ein bis zwei Augen zu – zumal Herr T. in Lannesdorf nicht unbeliebt war. Ein Jahr zuvor hatte er Johanna T., Tochter einer alteingesessenen Lannesdorfer Winzerfamilie, geheiratet und ihr inzwischen das zweite Kind geschenkt – beides Töchter, ein Kind schöner als das andere. Ebenso wie die Mutter eine bildhübsche junge Frau gewesen war, mit Sommersprossen, rotblondem Haar und lebendigen, strahlenden blauen Augen.
Ihr Wunsch war es wohl auch gewesen, das Häuschen an dieser Stelle zu bauen – eingebettet zwischen den Feldern und Wäldern, in denen das junge Paar ausgiebige und romantische Spaziergänge unternommen hatten, und am Laufe jenes Flusses gelegen, an dem sie als kleines Kind immer so gerne gespielt hatte.
In Lannesdorf erzählt man sich auch heute noch Geschichten von der jungen Familie. Klar, zunächst waren einige Lannesdorfer misstrauisch gegenüber Herrn T. gewesen, kam dieser doch aus einer vollkommen anderen Welt als die meisten hier Ansässigen. Doch alles Misstrauen verflog schnell, als die junge Familie eine Menge Zeit in ihrer Ferienresidenz verbrachte und die Lannesdorfer die nette, herzliche und offene Art ihrer neuen Nachbarn entdeckten und zu schätzen lernten.
Familie T. tat viel für das Lannesdorfer Gemeinwohl, veranstaltete auf ihrem lichtdurchfluteten Grundstück am Bach etliche Feiern und Flohmärkte, und immer waren Johanna T., und ihre beiden Töchter, Louise und Daphne, mit von der Partie und wurden von den Nachbarn geschätzt und bewundert.
Fünf Jahre lang ging alles gut.
Dann jedoch ließ sich Familie T. immer seltener blicken, und wenn sie es doch tat, dann konnten die Lannesdorfer gut beobachten, wie Johanna T.’s lebendiges Strahlen mehr und mehr verebbte. Und schon bald wusste man in Lannesdorf Bescheid – es lief nichts mehr zwischen den jungen Eheleuten. Herr T. hatte eine “Neue”, und man war, inzwischen war es 1983, damit beschäftigt, die Formalitäten der Scheidung auszuarbeiten.
Erstaunlicherweise weiss niemand, was aus Johanna T. geworden ist. Die Lannesdorfer wissen von einer mehr als nur großzügigen Entschädigung zu erzählen – ein Betrag, der den meisten Menschen genügt, um nie wieder arbeiten zu müssen und ein bequemes Leben zu führen.
Man erzählt sich auch, sie sei ausgewandert, zu entfernten Verwandten in Kanada oder Neuseeland oder wo auch immer… niemand weiß etwas Genaues, und nicht einmal die eigene Familie wollte sich zeitlebens dazu äußern (sowohl Johannas Mutter als auch ihr Vater starben in den 90er Jahren und wurden auf dem Friedhof neben der Bahnlinie beigesetzt, ohne dass von Johanna etwas zu sehen gewesen war).
Eine zeitlang wurde es ruhig um das Anwesen, und die Natur um das Haus herum begann, das Grundstück wieder an sich zu reissen.
Doch bevor ihr dies gelingen sollte geschah etwas, womit die Lannesdorfer nicht gerechnet hatten: Herr T. kam zurück – zusammen mit der neuen Frau T., die, so erzählt man sich, im Gegensatz zu Johanna mit einer beachtlichen Oberweite und der angesagtesten und teuersten Mode aufwartete, aber weder die Ausstrahlung noch Herzlichkeit ihrer Vorgängerin besaß.
Verständlicherweise wurde diese neue Entwicklung von den meisten Lannesdorfern mit Argwohn bis hin zu offener Missbilligung betrachtet. Oder, um es mit den Worten des alten Lannesdorfers zu sagen, von dem ich diesen Teil der Geschichte erfahren habe: “Eine Hure war das, weiter nichts.”
Die neue Familie war etwas vollkommen anderes als die alte. In Lannesdorf erzählt man sich (mit einiger Genugtuung), dass sich die beiden oft stritten und in so gut wie keiner Angelegenheit einer Meinung waren. Kinder hatte das Paar keine, und nach bereits zwei Jahren, inzwischen war es 1988, gab Herr T. seiner neuen Eroberung wieder den Laufpass.
Lange Zeit schien es so, als ob dies das Ende der Geschichte gewesen wäre. Wieder wucherten die Büsche und Bäume um das Grundstück herum, bis schließlich erneut etwas geschah, das niemand vorhergesehen hatte – Herr T. kam ein zweites Mal zurück, und dieses Mal machte er das Haus zu seinem festen Wohnsitz.
Man munkelt, dass die Geschäfte nicht mehr so gut gelaufen waren. Ob Herr T., mittlerweile um die 40 Jahre alt, nun gezwungen war, seine Anteile an der Firma zu verkaufen, oder ob er es aus freien Stücken getan hat, wird man wohl niemals in Erfahrung bringen. Fest steht, dass er im Winter des Jahres 1990 in den Bungalow einzog. Das Haus wurde nun wieder gepflegt und gereinigt, doch lange Zeit war von Herrn T., abgesehen von ganz seltenen Behördengängen, so gut wie nichts zu sehen.
Dies änderte sich, als sich Herr T. einige Jahre später einen Golden Retriever namens Aesop zulegte. In der folgenden Zeit konnte man Herrn T. manchmal in den Feldern und Wäldern zwischen Lannesdorf und Ließem auf Spaziergängen antreffen, die er zusammen mit Aesop unternahm, aber die Menschen mieden ihn – ebenso wie er selbst die Menschen mied.
Aesop war es dann auch schließlich, durch den die Anwohner im Jahre 2005 darauf aufmerksam wurden, dass irgendetwas nicht stimmte. Nachdem Aesop sechs Tage und sechs Nächte hindurch gebellt und geheult hatte, alarmierte jemand die Polizei, und diese fand, so erzählt man, Herrn T. tot in einem Ledersessel sitzend, vor dem abgeschalteten Fernsehgerät.
Seit diesem Zeitpunkt steht das Haus leer und verfällt. Offensichtlich hatte Herr T. keine Angehörigen, denen er das Anwesen vermacht hatte – oder die Erben wollen damit nichts zu tun haben. In Ließem wurde vor vier Jahren am Berg eine Neubausiedlung errichtet. Von dieser aus kann man auf das Grundstück hinab blicken. Das ehemals helle und freundliche Anwesen am Flusslauf ist nun vollkommen zugewachsen, und der Fluss ist nicht mehr als solcher zu erkennen. Viele der jüngeren Bewohner von Ließems Neubausiedlung fragen sich, worum es sich bei dem Grundstück wohl handeln mag.
Vor einiger Zeit brach jemand dort ein und zerstörte das Inventar. Die örtlichen Behörden versiegelten daraufhin das Gebäude.
Inzwischen wird der Bungalow nur noch selten von Jugendlichen aus Ließem und Lannesdorf aufgesucht, um als Austragungsort für Mutproben herzuhalten – über ein Kellerfenster, das sich unter einem Gitter befindet, kann man ohne weiteres hineingelangen. Drinnen ist es stockdunkel, und alles was sich dort noch finden lässt, sind zerstörte Möbel.
Was weiter mit dem Gebäude geschehen soll, vermag niemand zu sagen.
Faszinierend…
Danke Dir. Es ist eine sehr faszinierende Gegend da, ja…
danke….
Da doch nicht für…
ein gebäude mit einer geschichte, die du wunderbar und bewegend geschrieben hast, dazu bilder, wie ich sie mag. schwierig für mich, weiteres dazu zu schreiben, aber die gefühle dafür sind in mir!
Ja, Lannesdorf ist schon einen besuch wert… ;-)