(ursprünglich veröffentlicht auf schallundstille.de)
Es ist Tag der Arbeit, deshalb hier ein kleiner Text über die Arbeit.
Gar keine Frage, Covid-19 ist eine extrem beschissene Angelegenheit, in beinahe jeder Hinsicht. Ich will nix schönreden oder zwanghaft positiv sehen, denn da ist wirklich nicht viel Positives, zumindest nicht für unsere Spezies.
Als Softwareentwickler aber finde ich es brennend Interessant, was gerade mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Arbeit im Home Office passiert, insbesondere in meiner eigenen Domäne.
Ich arbeite seit über 20 Jahren als Softwareentwickler, mit einem Zwischenspiel als CTO und ein paar Gastauftritten als Projektmanager. Aber eigentlich wollte ich – was den Brotjob betrifft – nie etwas anderes sein als Softwareentwickler (was sich mittlerweile leider nicht immer als gute Idee herausstellt, aber das wäre ein anderes Posting), und so habe ich auch live und an der eigenen Haut erlebt, wie sich mein Beruf in den letzten 20 Jahren gewandelt hat.
Im frühen 21. Jahrhundert genoss man als Entwickler bei Management und sogenannten “Entscheidern” immer noch vergleichsweise große Freiheiten – denn man wurde im Gegenzug dazu mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung bedacht. Der Grund war klar – man konnte etwas, was andere Menschen nicht konnten, und dieses etwas war vergleichsweise kompliziert zu erfassen, äußerst gefragt und gut bezahlt.
Doch Führungsebenen und Management sind und waren schon immer vom (durchaus verständlichen) Wunsch beseelt, eine bessere Kontrolle darüber zu erlangen, was eigentlich mit den Investitionen passiert, welche Zeit es benötigt, und wie man die Prozesse so optimieren kann, dass unterm Strich noch mehr Kohle dabei rumkommt. Auch möchte man sich nicht mehr von Spezialisten abhängig machen als unbedingt erforderlich, und so wurde schon bald das Märchen vom “jeder kann programmieren” kolportiert, es wurden neue Vorgehensmodelle erfunden und verfeinert (meistens von Menschen, die nie in ihrem Leben auch nur eine Zeile vernünftigen Code geschrieben haben), und vielerorts wurden Scrum oder irgendeine sonstige Form von Agilität eingeführt – mit dem eigentlich hehren Ziel, die bestmögliche Software für das geringstmögliche Geld erstellen lassen zu können.
Leider wurde dabei vielerorts das Kind mit dem Bade ausgekippt – dass damit für viele Entwickler ein dunkles Zeitalter begann, in dem man von einem unnötigen Meeting mit blödem Namen zum nächsten gehetzt wurde, die Aufgaben immer stumpfsinniger wurden, das Wissen um das große Ganze immer weiter in den Hintergrund trat, und dass infolgedessen sowohl die Qualität der Software als auch die Leidenschaft und das Können der beteiligten Entwickler fürchterlich litt, darum soll es in diesem Artikel aber gar nicht gehen… da wäre ein eigener Artikel, ach, was sage ich, eine Artikelserie vonnöten.
Wie dem auch sei – einer der zahlreichen Nebeneffekte agiler Rituale war es, dass Freiheiten wie das Arbeiten im Home Office immer weiter reduziert wurden. War es in den frühen 2000ern zumindest für Freelancer noch keinerlei Problem gewesen, zuhause zu arbeiten, so änderte sich dieser Umstand schnell mit der Integration von Scrum & Co. in starre Unternehmenshierarchien. Bald wurde auch von Freelancern verlangt, am Ort zu sein, weil irgendein Scrum-Papst mal behauptet hatte, “Colocation” sei irrsinnig wichtig… und vor allem weil: Meetings.
Inzwischen ist es so, dass in einem Beruf, der im Prinzip für Homeoffice prädestiniert ist, kaum noch eine Stelle mit Option auf Home Office ausgeschrieben wird. Klar, einige Firmen schreiben groß und vollmundig “Home Office möglich” in ihre Stellenbeschreibung, aber was sie eigentlich damit meinen ist: “Home Office kannste vielleicht mal einen Tag im Monat machen wenn es gar nicht anders geht, aber dann kuckt der Chef blöd und wird misstrauisch. Und wenn Du’s regelmäßig machst, dann reisst er dumme Sprüche und macht Stimmung gegen Dich. Und wenn Du’s dann weiter machst, dann bist Du automatisch der Schuldige wenn irgendwas ganz anderes nicht klappt. Mach ja’ kein Home Office”. True story, selbst erlebt.
Bei vielen anderen Unternehmen steht es erst gar nicht in der Stellenbeschreibung, und wollte man dort Home Office machen, so wurde man bisher mit herablassendem Kopfschütteln bedacht, und man wurde darüber belehrt, dass es eine unumstößliche Regel sei, dass das Zentrum der täglichen Arbeit das Büro ist. Auch true story, auch selbst erlebt.
Tja, und jetzt ist Covid-19 da, und was soll ich sagen, es geht plötzlich.
Im Ernst. Hunderte von Firmen, die sich bis jetzt mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben, ihren Mitarbeitern Home Office zu genehmigen, tun dies gerade notgedrungen, und – oh Wunder –, es funktioniert nicht wesentlich schlechter als vorher. In einigen Fällen funktioniert es sogar viel besser, denn die Meetings mit den blöden Namen werden auf das unbedingt notwendige gekürzt, und es bleibt mehr Zeit für richtige Arbeit.
Ok, ich will nichts beschönigen und verallgemeinern. Für viele Berufe und/oder Individuen funktioniert Home Office überhaupt nicht. Teilweise geht’s einfach nicht, Punkt. Du kannst Deine Kühe nicht im Home Office melken, Du kannst kein Haus im Home Office bauen und Du kannst auch keine Lebensmittel im Home Office verkaufen. Sehe ich vollkommen ein. Und selbst wenn der Beruf es ohne Probleme hergibt, so funktioniert es trotzdem für viele Menschen nicht.. entweder weil sie es nicht gewohnt sind, oder weil sie nicht gerne so arbeiten, oder weil einfach der benötigte Raum und die benötigte Ruhe fehlen. Das sind für mich alles perfekt stichhaltige Argumente, warum man auf Home Office vielleicht lieber verzichten mag, und warum man auch unbedingt die Wahl haben sollte, darauf zu verzichten. Ich kann es vollkommen verstehen, wenn andere Menschen die Zeit im Büro vermissen. Und denen wünsche ich von ganzem Herzen, dass diese unmögliche Situation hoffentlich bald wieder aufhört.
Doch wenn ich sehe, wie die ersten Agil-Jünger nach der Krise schon wieder gerne “Korrekturen” anbringen möchten, dann möchte ich gerne die folgende Frage stellen: Wie wäre es denn nach der Krise zur Abwechslung mal damit, die Leute so arbeiten zu lassen wie sie wollen? Wir haben nicht die ganze Welt vernetzt, um weniger Freiheiten zu haben. Das Gegenteil war bezweckt.
(was mich selbst betrifft – ich selbst arbeite nun schon seit mehreren Jahren glücklich und zur großen Zufriedenheit aller Beteiligten im Home Office. Glücklicherweise hat mein Arbeitgeber schon sehr früh erkannt, dass die Menschen am meisten Freude an der Arbeit haben und die beste Arbeit abliefern, wenn man sie so arbeiten lässt, wie sie sich das wünschen und wie es zu ihrem individuellen Lebensentwurf passt… und ich würde meine Fähigkeiten auch keinem Unternehmen mehr zur Verfügung stellen, welches mir diese Freiheit nicht lässt)
Ich habe mich entschieden, mal abzuwarten, was nach der Krise passiert. Wenn mich einer fragen sollte, würde ich inhaltlich ziemlich genau das selbe sagen, aber ich habe Schwert und weißes Roß bereits eingemottet und werde nicht aktiv für die Freiheit reiten. Und was ich auch gelernt habe: Die Agil-Jünger lagen mit ihren Weissagungen vorher schon falsch, warum sollte also dieser eine Jünger da jetzt richtiger liegen. Das bringt mich noch nicht auf Puls :)
Sehr idyllisches Bild, aber auf Dauer ein sehr unergonomisches Homeoffice, vor allem die SItzgelegenheit. Passt auf Eure Rücken auf!
Mittlerweile gibt es hier auch für jeden einen Monitor, Maus und Tastatur, ausserdem, habe ich in einen Sitzball investiert und Schreibtischstuhl kommt auch noch. Die Yogamatte liegt eine Etage höher, auch gut für Rückentraining.
Das klingt toll :) Kommt weiterhin gut durch!